MEIN MANNHEIM .

„Mein Favorit ist seit jeher das UREICH.“

Der ehemalige Mannheimer Boxprofi Charly Graf über die hochemotionalen Höhen und Tiefen seiner sportlichen und kriminellen Karriere, eine lebensentscheidende Begegnung im Hochsicherheitsgefängnis und seine ganz besondere Beziehung zur Privatbrauerei Eichbaum.

EICHBAUM aktuell: Herr Graf, Sie waren gerade mal 17 Jahre alt und hatten Ihre ersten Profikämpfe durch frühe K.O. gewonnen, als Sie von den Medien schon als der „Ali vom Waldhof“ und von Ihrem Promoter als „Million Dollar Baby“ gefeiert wurden. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Charly Graf: Ich hab‘ das als große Belastung empfunden, als immensen Druck. Um einen herum sind dann plötzlich ganz viele neue Freunde, von denen man allerdings schon ahnt, dass sie nur so lange bleiben werden, wie der Erfolg anhält. Deshalb war für mich jeder Kampf auch ein Kampf um Anerkennung. Ich glaube, diese Art von Druck kann man nur aushalten, wenn man über ein intaktes familiäres und soziales Umfeld verfügt. Das war bei mir leider nicht der Fall.

EICHBAUM aktuell: Hatten Sie denn wirklich „das Zeug zum Schwergewichtsweltmeister“, wie der ehemalige Boxpromoter Ebby Thust später konstatierte?

Charly Graf: Ob ich den Titel tatsächlich gewonnen hätte, weiß natürlich niemand. Aber ich bin mir sicher: Ich hätte zumindest darum mitkämpfen können, wenn ich nicht von lauter Neurotikern umzingelt gewesen wäre.

„An diesem Tag fing für mich der Marsch durch die Hölle an“ 

EICHBAUM aktuell: In der Realität ist es dann bekanntlich anders gekommen: Nach Ihrer ersten Niederlage haben Sie sich im Mannheimer Rotlichtmilieu verloren und sind wegen unterschiedlicher Delikte zu mehreren Haftstrafen verurteilt worden. Was genau ist mit Ihnen passiert an und nach jenem 2. Oktober 1970?

Charly Graf: An diesem Tag fing der Marsch durch die Hölle an. Die Niederlage gegen Ivan Prebeg bedeutete für mich: Der Traum ist ausgeträumt – ich bin als Profiboxer gescheitert. Dass ich erst 18 war, dass mein Gegner noch bis kurz vor unserem Kampf amtierender Europameister und zu diesem Zeitpunkt mehr als eine Nummer zu groß für mich war, all das konnte ich damals nicht sehen.


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EICHBAUM aktuell: Im Hochsicherheitsgefängnis in Stuttgart-Stammheim lernten Sie 1980 den RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock kennen. Eine Begegnung, die Ihren Blick auf die Welt komplett veränderte, wie Sie später sagten. Inwiefern?

Charly Graf: Bei unserem ersten Aufeinandertreffen habe ich noch überlegt: Hau‘ ich ihm jetzt gleich auf die Gosch‘ oder hör‘ ich mir das Gelaber noch eine Weile an? Meine Entscheidung fiel zum Glück auf die zweite Variante. Bei den gemeinsamen Hofgängen mit Boock fand ich zum Beispiel den Zugang zur Literatur. Er hat mich kulturell aufgerüstet und ich ihn sportlich – das war der Deal. Im Grunde gab er mir auch das Selbstvertrauen, wieder mit dem Boxen zu beginnen.

EICHBAUM aktuell: Ihren beim breiten Publikum bekanntesten Kampf bestritten Sie am 20. Juli 1984. Sie wurden in der grünen Minna zur Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer- Halle gebracht und von Justizbediensteten zum Ring eskortiert. Wie kam es dazu?

Charly Graf: Ich saß damals in der JVA Ludwigsburg und wusste vom ersten Zusammentreffen mit dem Anstaltsleiter: Der Mann ist eitel und er nimmt mich nicht für voll. Beides schien mir perfekt für mein Vorhaben. Also bat ich um die Genehmigung, noch während der Haftzeit wieder boxen zu dürfen. Ich habe dann jeden Tag vor und nach der Arbeit hart trainiert und Briefe an Promoter geschrieben.

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Die fanden die Idee klasse, allein wegen des Spektakels. Dass mir ein echtes sportliches Comeback gelingen würde, glaubten sie keine Sekunde. Ich hatte ja keinen professionellen Plan, weder fürs Training noch für die Ernährung noch für den Kampf selbst. Mein Gegner war bis dahin ungeschlagen, wurde von Topleuten betreut – und ging trotzdem in der zweiten Runde K.O.

„Die große Überschrift heißt: Gewalt ist etwas für Feiglinge“

EICHBAUM aktuell: Etwas mehr als ein Jahr später verloren Sie den zwischenzeitlich errungenen Deutschen Meistertitel durch einen von Experten als Skandalurteil bezeichneten Punktrichterentscheid – und zogen sich anschließend für zwölf Jahre ins Allgäu zurück, wo Sie unter anderem als Viehbetreuer für einen Auktionator arbeiteten. Warum sind Sie nicht in Mannheim geblieben?

Charly Graf: Ich war mittlerweile einfach ein anderer Mensch geworden und nicht mehr der hochgradig asoziale Typ aus den Benz-Baracken. Also konnte und wollte ich nach dem Karriereaus nicht in mein altes Leben zurück. Die Zeit im Allgäu war deshalb sehr wichtig für mich. Aber irgendwann zog es mich eben doch wieder zurück nach Mannheim. Ich habe dann damit angefangen, mit schwer erziehbaren Jugendlichen zu arbeiten – zunächst ehrenamtlich, später in fester Anstellung bei der Stadt, heute als frisch gebackener Rentner wieder ehrenamtlich. Ich möchte die jungen Leute aus schwierigen sozialen Milieus nach Möglichkeit davor bewahren, dieselben Fehler zu machen wie ich. Die große Überschrift dabei heißt: Gewalt ist etwas für Feiglinge.

EICHBAUM aktuell: Wie sieht heute ein ganz normaler Tag in Ihrem Leben aus?

Charly Graf: Die meisten Vormittage verbringe ich im Fitnessstudio. Außerdem arbeite ich nach wie vor mit Jugendlichen, halte Lesungen und Vorträge – oder fahre ins Frankfurter Gallus Theater. Dort laufen gerade die Vorbereitungen für ein Stück über mich, das voraussichtlich im Herbst in die Mannheimer Feuerwache kommt. Am Wochenende gehe ich ab und zu ins Café Flo am Wasserturm oder auch mal in die Theaterklause.

EICHBAUM aktuell: Wenn Sie das Mannheim Ihrer Kindheit und Jugend mit dem modernen Mannheim vergleichen: Wo sehen Sie die gravierendsten Unterschiede?

Charly Graf: Für mich persönlich ist es schon ein großer Unterschied, dass ich nicht mehr in einem Ghetto wie den Benz-Baracken lebe, sondern in der Neckarstadt – zwar direkt neben der JVA Mannheim, aber zum Glück auf der richtigen Seite der Mauer. Ansonsten hat sich in der Stadt vor allem kulturell eine Menge getan: In dieser Hinsicht dürfte Mannheim inzwischen wahrscheinlich sogar Heidelberg überflügelt haben. In einem Punkt aber hat sich meine Beziehung zur Stadt definitiv nicht geändert: Mannheim war damals meine Heimat – und ist es noch heute.

EICHBAUM aktuell: Spiegeln sich Ihre heimatlichen Gefühle zum Beispiel auch in der Wahl Ihrer Lieblingsbiermarke wider?

Charly Graf: Ja, klar. Mein Favorit ist seit jeher das UREICH. Und mit Eichbaum fühle ich mich sowieso auf eine ganz besondere Weise verbunden. Als 13- oder 14-Jähriger lernte ich beim VfR Mannheim einen leitenden Mitarbeiter der Brauerei kennen, der später übrigens noch bis ins hohe Alter mittrainiert hat. Also war Eichbaum vor allem zu Beginn meiner Laufbahn praktisch in jedem Training mit dabei.

Eichbaum aktuell: Graf, wir bedanken uns für das Gespräch.

(Interview aus dem Jahr 2019)